Sportler mit Diabetes wissen es: Die optimale Insulinanpassung beim Sport kommt oftmals einem Balanceakt gleich. Trotz besten Diabeteswissens, jahrelanger Diabeteserfahrung und guten Körpergefühls fällt die befriedigende Glukoseeinstellung beim Sport häufig schwer. Was kann die moderne Diabetestechnologie beim Sport leisten, wo sind die Grenzen?
Malte Broeder (Name geändert) hat seit 40 Jahren Typ-1-Diabetes. Der 63-jährige Verwaltungsangestellte ist leidenschaftlicher Läufer. Mindestens 6 Stunden pro Woche ist er auf den Laufstrecken in Minden und Umgebung unterwegs. Seit 2 Jahren führt er eine „sensorunterstützte Pumpentherapie“ (SuP) mit prädiktiver (vorhersagender) Hypoglykämie-Abschaltung durch. Mit seiner Insulinpumpe MiniMed 640G nutzt er die Option der kontinuierlichen Glukosemessung (CGM) und die Pumpe stoppt die Insulinzufuhr bereits bei drohenden Unterzuckerungen.
Trotz seines langjährigen Typ-1-Diabetes bereitet ihm das Laufen heute daher kaum Probleme. Das war mal ganz anders: „Vor der Pumpentherapie gab es doch immer wieder Probleme mit Unterzuckerungen – während des Sports, aber auch nicht selten nach dem Sport“, berichtet Broeder. Die kontinuierlich verfügbaren Glukosewerte, Trendpfeile und die Hypoglykämie-Abschaltung unterstützen Broeder sehr.
Jeder Sport, jeder Mensch: eigene Therapiestrategie
Sport ist nicht gleich Sport: Ausdauer-, Kraft- oder Spiel- und Mannschaftssportarten erfordern gänzlich unterschiedliche Therapiealgorithmen. Neben allgemeinen individuellen Stoffwechselfaktoren beeinflussen Intensität und Dauer der Belastung die Stoffwechsellage. Trainings- und Wettkampfstrategien gilt es zu berücksichtigen.
So stellt selbst die COVID-19-Pandemie auch nichtinfizierte Sportler mit Diabetes vor große Herausforderungen: Kurzfristig geänderte Trainingspläne und Rahmenbedingungen, ausfallende Wettkämpfe sowie mitunter mentale Belastungen können die Stoffwechsellage extrem beinträchtigen. Auch mit einer sensorunterstützten Pumpentherapie muss jeder Sportler mit Diabetes seine ganz persönliche Therapiestrategie für die jeweilige Sportsituation herausfinden.
Blutglukose und Gewebeglukose (die bei CGM gemessen wird) stimmen aus unterschiedlichen Gründen oft nicht überein. In erster Linie erklärt sich der Unterschied durch die verschiedenen Messorte (Blut, Gewebe), aber auch technische Aspekte spielen eine Rolle. Zudem führt intensiver Sport zu komplexen Flüssigkeitsverschiebungen im Gewebe, die Einfluss auf die gemessenen Glukosewerte haben können.
Bei raschen Änderungen der Glukosewerte – wie sie typischerweise bei sportlichen Aktivitäten zu erwarten sind – kann die Gewebeglukose daher mitunter 25 Minuten hinterherhinken („Timelag“). Die Erfahrungen musste auch Malte Broeder machen. Erst seit Umstellung der Alarmgrenzen (niedriger Glukosewert auf 120 mg/dl bzw. 6,7 mmol/l) profitiert er von der Hypoglykämie-Abschaltung.
Zudem ist eine rechtzeitige Reduktion der Basalrate schon vor dem Sport extrem wichtig für Broeder. Obwohl die Pumpe mit einem ultraschnellen Insulin gefüllt ist, reduziert Broeder die Basalrate in der Regel schon 2 Stunden vor dem Sport um 50 %. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass trotz Halbierung der Basalrate 60 Minuten vor Beginn einer körperlichen Aktivität die Insulinspiegel im Blut mit dem Start der Aktivität steigen und damit das Unterzuckerungsrisiko erhöhen.
Man erklärt sich den Anstieg der Insulinspiegel zu Beginn des Sports durch einen gesteigerten Blutfluss im Gewebe, der wiederum für eine schnellere Aufnahme des Insulins sorgt. Wie so vieles müssen letztlich auch Zeitpunkt und Ausmaß der Anpassung der Basalrate individuell festgelegt werden. Trotz aller Begeisterung für die Möglichkeiten der Diabetestechnologie hat Läufer Broeder schnell verstanden, dass die sensorunterstützte Pumpentherapie beim Sport kein Selbstläufer ist.
Die Diabetestechnologie schreitet rasant voran
Das weltweit erste zugelassene (CE-gekennzeichnete) Hybrid-Closed-Loop-System ist seit Herbst 2019 in Deutschland verfügbar und verordnungsfähig zulasten der gesetzlichen Krankenkassen: Basierend auf den gemessenen Sensorglukosewerten passt das System die basale Insulinabgabe alle 5 Minuten individuell an, sodass die Glukosewerte möglichst in einem Bereich zwischen 70 und 180 mg/dl (3,9 und 10,0 mmol/l) liegen.
Auch das Hybrid-Closed-Loop-System ist kein Selbstläufer beim Sport. Dies zeigen insbesondere die Erfahrungen der „Do it yourself (DIY)“-Looper. [Anmerkung: Bei den selbst gebauten Systemen handelt es sich nicht um zugelassene Medizinprodukte, daher erfolgt die Anwendung auf eigene Gefahr.] Die selbst gebauten DIY-Loop-Systeme passen nach entsprechender Programmierung die Basalrate ebenfalls automatisch an.
Während des Sports reicht die alleinige Anpassung der Basalrate in der Regel aber nicht aus. Kohlenhydrat- und Korrektur-Faktoren müssen für eine optimale Therapiesteuerung zusätzlich angepasst werden. Das setzt natürlich eine intensive theoretische und praktische Auseinandersetzung mit der Thematik voraus.
Viele Sportler haben nach dem Sport sehr schwankende Glukosewerte. Wegen des „Muskelauffülleffektes“ können auch „verspätete“ Unterzuckerungen mehrere Stunden nach der Bewegung auftreten. Hier unterstützen Hybrid-Closed-Loop-Systeme optimal. Auch wenn Sportler ihre Diabetestherapie weiter nicht einfach an ein technisches System delegieren können, so sind Hybrid-Closed-Loop-Systeme doch ein riesiger Fortschritt im Alltag sportbegeisterter Menschen mit Typ-1-Diabetes.
Erste Studien belegen zudem, dass Hybrid-Closed-Loop-Systeme unter unterschiedlichen körperlichen Belastungen eine bessere Stoffwechselkontrolle erlauben. Auch Malte Broeder ist von den Vorzügen eines solchen Systems nicht nur beim Sport fest überzeugt: „Die nächste Pumpe sollte das schon bieten.“
Was bringt die Zukunft?
Zahlreiche Unternehmen forschen an der Entwicklung eines Closed-Loop-Systems, das die Therapiesteuerung komplett automatisiert. Gerade im Hinblick auf Unterzuckerungen beim Sport sind Systeme interessant, die neben dem Hormon Insulin auch das Hormon Glukagon (in seiner Wirkung auf den Glukosestoffwechsel ein Gegenspieler des Insulins) abgeben können: „bihormonale Systeme“. Bei rasch abfallenden Glukosewerten gelingt so eine schnellere Korrektur.
Gesundheits-Apps und Wearables wie Sportuhren, Fitness-/Aktivitäts-Tracker sowie Smartwatches mit vielen Funktionen sind feste Bestandteile im Sportalltag. Sensoren, die unblutig Signale aufzeichnen, werden die Therapiesteuerung bei körperlicher Belastung zusätzlich unterstützen können: Herzfrequenz, Beschleunigung, Wärmefluss, Hautfeuchtigkeit oder auch ein Elektrokardiogramm (EKG).
Immer intelligentere Algorithmen zur Insulindosisfindung mit den Daten unterschiedlicher Messmethoden erleichtern heute schon Sportlern eine bessere Glukoseeinstellung – und in Zukunft noch entscheidender. Ein Selbstläufer wird die Therapie allerdings so schnell nicht werden.
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Erschienen in: Diabetes-Journal, 2020; 69 (5) Seite 30-33